So wie die Falten garantiert mal kommen, verliert auch das Auge mit den Jahren die Nahanpassungsfähigkeit. Alterssichtigkeit, ein Thema das alle ab etwa 45 Jahren betrifft, aber doch irgendwie verunsichert oder gar Angst macht.
Erst noch konnte man auch das Kleingedruckte problemlos lesen, und jetzt reicht auch alles Blinzeln und Strecken der Arme nicht mehr aus, um die Zeitung oder den Text auf dem Handy scharf zu sehen. Teodora Balogh, dr. med. (HU), medizinische Standortleiterin der Pallas Kliniken in Grenchen, hat uns im Gespräch über das Problem Alterssichtigkeit aufgeklärt.
Frau Dr. Balogh, was versteht man unter Alterssichtigkeit?
Teodora Balogh: Zunächst möchte ich betonen, dass Alterssichtigkeit keine Erkrankung ist. Viele erschrecken, wenn sie mit der Zeit das Kleingedruckte nicht mehr bei einer Distanz von etwa 30 Zentimetern lesen können und es fürs Entziffern der Buchstaben nicht mehr ausreicht, die Arme zu strecken. Doch genauso, wie die Haut ihre Elastizität verliert und Falten bekommt, wird auch der Augenmuskel schlaffer und die Linse rigider, deshalb kann das Auge nicht mehr so scharf fokussieren.
Kann man die Alterssichtigkeit herauszögern?
Nein, früher oder später trifft es jeden Menschen. Das ist wie gesagt eine ganz normale Alterserscheinung und startet im Alter von ungefähr 45 Jahren. Wenn jemand sowieso weitsichtig ist, kann die Alterssichtigkeit auch schon früher auftreten. Kurzsichtige können das Problem anfangs einfach lösen, indem sie ihre Brille abnehmen und so lesen. Aber beeinflussen können wir die Alterssichtigkeit nicht.
Verschlimmert sich die Alterssichtigkeit, wenn sich die Augen an die Brille gewöhnen?
Es ist schon so, sobald man die Augen mit Hilfe einer Lesebrille entlastet, wird man noch mehr Mühe haben, ohne Lesebrille zu lesen. Aber der Prozess der Alterssichtigkeit schreitet so oder so mit zunehmendem Alter voran. Wenn man auf die Sehhilfe verzichtet, heisst das nicht, dass man die Augen dadurch trainieren und auf eine Lesebrille verzichten kann. Eventuell kann man morgens, wenn die Augen frisch ausgeruht sind und die Lichtverhältnisse optimal sind, auf die Brille verzichten. Doch es macht keinen Sinn, sich zu quälen: Bei Kopfschmerzen oder verschwommenem Sehen sollte man die Augen nicht unnötig anstrengen.
Ist eine Lesebrille die einzige Lösung bei Alterssichtigkeit?
Die klassische Sehhilfe bei Alterssichtigkeit ist sicher die einfache Lesebrille, die bei den meisten Betroffenen sehr gut funktioniert. Es gibt natürlich auch Leute, die die Lesebrille nicht gerne dauernd ab- und anziehen wollen und vielleicht auch in die Weite eine kleine Korrektur brauchen. Da kommt eine kombinierte Brille in Frage. Weiter besteht die Möglichkeit, multifokale Kontaktlinsen oder Monovision zu tragen. Dies funktioniert beispielsweise bei kurzsichtigen Patienten sehr gut, die sowieso schon Kontaktlinsen zur Sehkorrektur tragen. Da kann man das Führungsauge auf die Weite einstellen und das andere Auge auf die Nähe.
Kann man Weitsichtigkeit auch operativ behandeln?
Es gibt immer wieder mal Personen, die Brille oder Kontaktlinsen nicht vertragen beziehungsweise eine operative Lösung bevorzugen. Wir können zum Beispiel einen Lasereingriff durchführen oder Implantate einsetzen. Aber bei Alterssichtigkeit eine Operation empfehlen wir nur dann, wenn sich sonst keine andere Lösung finden lässt.
In welchem Tempo verstärkt sich die Alterssichtigkeit?
Das ist sehr unterschiedlich und abhängig vom Alltag jedes Einzelnen. Wenn jemand zum Beispiel den ganzen Tag am PC sitzt, dann kann es sein, dass er alle zwei bis drei Jahre eine neue Korrektur braucht. In der Regel beginnt die Alterssichtigkeit etwa Mitte Vierzig bei 0,75 bis 1 Dioptrie und nimmt im Schnitt alle fünf Jahre rund eine halbe Dioptrie zu. Es gibt Leute, die auch nach 20 Jahren immer noch mit einer Stärke von plus 2 Dioptrien perfekt lesen können, und es gibt andere Menschen, die alle zwei Jahre eine neue Korrektur brauchen. Wie gesagt, das hängt zu einem grossen Teil vom Lebensstil und von der Anatomie des Auges ab und lässt sich nur wenig mit sogenanntem Augentraining steuern.
Reicht eine günstige Lesebrille aus dem Warenhaus oder braucht es eine individuell angepasste Brille?
Die günstigen Lesebrillen funktionieren einigermassen gut bei Personen, die auf beiden Augen den gleichen Refraktionsfehler aufweisen, also einfach zum Beispiel plus 1 oder plus 2 Dioptrien benötigen, sowie eine Norm-Kopfgrösse haben und einen durchschnittlichen Pupillenabstand. Doch dies gilt für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Was ist mit Personen, die plus 4 Dioptrien brauchen oder eine Hornhautverkrümmung haben? Wer also eine qualitativ gute Brille möchte, die ideal passt, kommt am Augenarzt oder Optiker nicht vorbei. Diese einfache Lesebrille aus dem Warenhaus empfehle ich eher als Ersatzbrille oder bei Aktivitäten, bei welchen die individuelle Brille Schaden nehmen könnte.
Wann soll man zum Augenarzt?
Ab Vierzig sollte man sowieso vorsorglich regelmässig seine Augen komplett checken lassen. Da wird die Sehschärfe kontrolliert, der Augendruck gemessen, sowie der komplette vordere und hintere Augenabschnitt kontrolliert. Dabei entdecken wir sicher auch eine mögliche Alterssichtigkeit und können gleichzeitig verschiedene altersbedingte Augenerkrankungen ausschliessen.